Die Geschichte der Stadt Lötzen (Lec / Giżycko)

Leczenburg
Erste Spuren menschlicher Besiedlung lassen sich auf der
schmalen Landenge zwischen dem Löwentinsee (Niegocin)
und dem Kissainsee (Kisajno) – dem Areal der späteren Stadt
Lötzen – bis in das 5. Jahrtausend v.Chr. zurückverfolgen.
In prussischer Zeit soll sich hier eine hölzerne Wehranlage
befunden haben. Nach dem Abschluss der Eroberung des
Prussenlandes durch den Deutschen Ritterorden im Jahre
1283, ist an dieser Stelle im Jahre 1340 auf Veranlassung des
Hochmeisters Dietrich von Altenburg die Burg Lötzen
(Leczenburg) zunächst aus Holz erbaut worden. Hierzu findet
sich auch die erste urkundliche Erwähnung des Namens zum
20.10.1340. In den Kämpfen zwischen dem Deutschen Orden
und Litauen wurde sie 1365 von dem Litauerfürsten Kynstut
erobert und zerstört. Um 1390 als Steinbau neu errichtet, wurde
die Leczenburg 1560 im Renaissancestil umgebaut, bei dem auch die heute noch erhaltenen Giebel entstanden.
Seit dem 14. Jahrhundert war diese Burg , in der sich auch eine Kapelle befand, innerhalb der Komturei
Brandenburg (später zeitweise der Komturei Rhein) das lokale Verwaltungszentrum der Pflege Lötzen.
Der Versorgung der Burgbewohner diente ein kleineres Ordensvorwerk. Die nahe der Burg gelegene
dörfliche Ansiedlung Neuendorff erhielt 1475 eine erneuerte Verschreibung über 60 Hufen, eingeschlossen
4 Pfarrhufen und 6 Schulzenhufen. Seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts wird im nahen Umfeld auch eine
Niederlassung „Leczin“ erwähnt, 1566 erstmals als „Stedtlein“(Marktflecken) bezeichnet. Dieses gewann
neben Neuendorff immer mehr an Bedeutung. Nach ihrer Zusammenlegung im ersten Viertel des 16. Jhdts.
erhielten diese beiden Siedlungen den Namen Lötzen. 1612 wurde Lötzen vom Kurfürsten von Brandenburg
und Herzog von Preußen, Johann Sigismund, das Stadtrecht verliehen. Das Stadtwappen zierten seit dieser
Zeit drei silberne Brassen. Der wohl erste Bürgermeister Lötzens, Paul Rudzki, konnte schon bald in das
1613 erbaute Rathaus einziehen. Der Stadt war zwischenzeitlich auch ein Waldstück von 10 Hufen in der
Nähe von Jesiorowsken (Hauptamt Angerburg) verliehen worden.

Während des Dreizehnjährigen Krieges (1454 – 1466) zwischen dem Ordensstaat und seinen von Polen
unterstützten Ständen wurden an der Burg und in ihrem siedlerischen Umfeld große Schäden angerichtet,
welche den vornehmlich von den Erträgen des Ackerbaues, der Beutnerei und des Fischfanges lebenden
Einwohnern schwere Opfer abverlangten. Nach dem Übertritt des letzten Hochmeisters, Albrecht von
Hohenzollern, zum evangelischen Glauben und der Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches, vom
Königreich Polen lehnsabhängiges Herzogtum (1525) wurde die Besiedlung der Lötzener Pflege, jetzt
„Hauptamt“ genannt, zügig vorangetrieben. Träger des Siedlungsausbaues waren hier wie auch in anderen
Teilen Masurens vornehmlich Prussen, Polen und Deutsche.

Schloß mit KommandanturDie alte Ordensburg Lötzen, jetzt auch häufiger
„Schloss“ genannt, blieb Verwaltungsmittelpunkt und
Sitz des Amtshauptmanns. Sie wurde auch
verschiedentlich für Jagdaufenthalte der preußischen
Landesherrn genutzt, vor allem nachdem sie 1644 durch
Flügelbauten vergrößert worden war, die erst im
19. Jahrhundert abgerissen worden sind.
Der während des Zweiten Schwedisch-Polnischen
Krieges in den Jahren 1656/57 erfolgte Tatareneinfall
im Herzogtum Preußen führte auch in Lötzen zu
schweren Verwüstungen, und zahlreiche Menschenopfer
waren zu beklagen. Bis auf Schloss, Kirche und Rathaus
brannte die ganze Stadt nieder. Mehr als 1000 Einwohner
kamen ums Leben.

Im Jahre 1692 hatte Lötzen ca. 76 Hufen. Die Böden waren von schlechter bis mittlerer Qualität und teilweise
morastig. Im Stadtgebiet standen 37 etwas größere Häuser und 57 sehr kleine und dürftige Buden sowie 20
Häuschen von Gärtnern. Handwerk, Ackerbau und Bierbrauerei bildeten zu dieser Zeit die wichtigste
Existenzgrundlage der Ackerbürgerstadt. Für den Erwerb des Bürgerrechts zahlte ein Großbürger 30 Mark, ein
Plätzner 15 Mark. Dem Rat gehörten ebenso wie dem städtischen Gericht je 6 Personen an. An Zünften waren
hier die der Schumacher, Schneider, Bäcker, Kürschner, Töpfer, Leineweber und Schmiede vertreten.

Die 1709/11 wütende Pest und nachfolgende Missernten rafften in Lötzen etwa zwei Drittel der
Stadtbevölkerung dahin.
Von der Einwanderung der Salzburger Protestanten nach Preußen (1732) profitierten Lötzen und sein
Siedlungsumfeld nicht so stark wie andere Regionen Ostpreußens.

Während des Siebenjährigen Krieges (1756 - 1763) war auch Lötzen zeitweise von russischem Militär besetzt.
Bald nach dem Kriegsende wurde der Bau des Kanals in Angriff genommen und 1772 abgeschlossen, der den
Löwentinsee mit dem Kissainsee verbindet (Lötzener Kanal).

Während des Russlandfeldzuges Napoleon I. (1812) marschierten große Heeresverbände durch die Stadt, und
die ständigen Requirierungen durch das Militär führten zu völliger Verarmung der Einwohner und zu
Hungersnöten. Diese wurden in der Folgezeit durch Naturkatastrophen verstärkt. Hinzu kamen Epidemien, wie
z.B. in den 30ger Jahren des 19. Jahrhunderts die Cholera, später Typhuserkrankungen, die auch in Lötzen
zahlreiche Opfer forderten. Von großen Stadtbränden wurde Lötzen in den Jahren 1756, 1786 und 1822
heimgesucht. Die Stadt behauptete sich aber immer wieder und blühte vor allem seit dem Ausbau der
Wasserstraße zwischen Johannisburg und Angerburg durch Schaffung neuer und Verbreiterung älterer
Kanalverbindungen der an dieser Strecke liegenden Seen merklich auf. Dieses zwischen 1845 und 1857
ausgeführte Projekt verbesserte die Verkehrsverbindungen in dem betroffenen Gebiet insgesamt und erleichterte
die Absatzmöglichkeiten der Holzwirtschaft durch eine intensivere Nutzung der Waldbestände in der
Johannisburger Heide. Neue Mühlen, Sägewerke , Zement- und Seifenindustrie entstanden und förderten auch
das Wirtschaftsleben in Lötzen. Im Jahre 1847 hatte die Stadt 1700 Einwohner, zehn Jahre später bereits 2703,
darunter neben den evangelischen 32 katholische und 77 jüdische. Bis 1910 erhöhte sich die Einwohnerzahl
auf 6962. Dazu hatten nicht zuletzt auch der am Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt einsetzende Fremden-
verkehr zu den Masurischen Seen, später verbunden mit Segeln und Eissegeln als sportlichem Angebot,
beigetragen. Lötzen profitierte bei seiner wirtschaftlichen Entwicklung auch erheblich von der hier
stationierten Garnison. Ihr Mittelpunkt wurde die zwischen 1843 und 1851 während der Regierungszeit von
Preußenkönig Wilhelm IV. errichtete Feste Boyen, benannt nach dem preußischen General und Kriegsminister
Hermann von Boyen (1771 – 1848). Die Festungsanlage enthält viele, ursprünglich für militärische Zwecke
konzipierte Bauten mit etlichen Kilometern Mauerwerk und Erdschutzwällen.

Im Jahre 1868 wurde Lötzen im Zuge der Streckenführung der ostpreußischen Südbahn (Königsberg-Rastenburg-Lyck) an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Schon seit dem Jahre 1818 besaß Lötzen den Status
einer Kreisstadt und war Sitz neu geschaffener Behörden geworden (z.B. Kreiskasse, Landratsamt, Steueramt).
Hatte der Kreis Lötzen vor 1905 zum Regierungsbezirk Gumbinnen gehört, so wurde er danach dem neu
geschaffenen Regierungsbezirk Allenstein zugeordnet. In diesem bildete Lötzen eines der Zentren für den
Kampf um die Polonisierung des Ermlandes und Masurens. Einer der Wortführer dieser Auseinandersetzungen
war der 1818 in Lötzen geborene und 1918 in Lemberg verstorbene Historiker Wojciech Ketrzynski (Adalbert v.
Winkler).

Quer

Wesentlich bedingt durch den Ausbau des Wasserstraßennetzes, den Anschluss an das Eisenbahnnetz sowie die
Verbesserung seiner Straßenverbindungen, erlebte Lötzen seit der 2. Hälfte des 19. Jhdts. einen weiteren
Aufschwung. Öffentliche Bauten wurden erweitert oder neu errichtet (z.B. Gerichtsgebäude, Gasanstalt,
Postgebäude, Präparandenanstalt, Landw. Winterschule). Die Stadt erhielt auch eine Wasserleitung mit
Kanalisation, etwas später den Anschluss an das Stromnetz . Ebenso wurden karitative Einrichtungen
geschaffen, die über die Stadt hinaus Bedeutung erlangten. (1868: Masurisches Waisenhauses, 1910:
Masurisches Diakonissen Mutterhauses Bethanien). Seit 1886 erschien die „Lötzener Zeitung“. Hinzu kam die
„Lötzener Kreiszeitung“, die später unter dem Titel „Lötzener Tageblatt“ fortgeführt wurde. Das städtische
Progymnasium wurde 1901 zum Vollgymnasium ausgestaltet. Die „Gesellschaft zur Erleichterung des
Personenverkehrs auf den Masurischen Seen“ (gegründet 1890) sowie die Masurische Dampferkompagnie
(gegründet 1891) förderten den Fremdenverkehr in der gesamten Region in besonderem Maße.

Die Verlegung verschiedener staatlicher Behörden (z.B. Eisenbahnbetriebsamt, Militärbauamt,
Meliorationsbauinspektion) verstärkte die Nachfrage nach Wohnungen für die hier tätigen Beamten. Diese
wurde von einem Bauverein befriedigt, der in der Bismarckstraße Beamtenwohnungen errichten ließ.

Vor allem seit der Mitte des 19. Jhdts. waren auch in Lötzen mehrere, vor allem kirchliche, soziale und
kulturelle Interessen verfolgende Vereine entstanden (Gustav-Adolf-Verein, Vaterländischer Kreis-Frauen-Verein, Missionsverein, Evang. Männer- u. Jünglingsverein, Verein zur Förderung des Deutschtums, die
1895 gegründete Literarische Vereinigung Masovia, die für die Regionalgeschichte u.a. durch die Herausgabe
der gleichnamigen Zeitschrift von Bedeutung war,  u.v.a.)

Im Jahre 1909 konnte die Sankt – Bruno – Kapelle eingeweiht werden, wodurch die katholische
Kirchengemeinde eine eigene Andachtsstätte erhielt.

Während des 1. Weltkrieges wurde auch Lötzen durch die Kämpfe in Ostpreußen in den Jahren 1914/15 in
Mitleidenschaft gezogen. Die Festung Boyen wurde von der zaristischen Armee zwar belagert, konnte aber
nicht eingenommen werden. Die im Versailler Vertrag von 1919 verfügte Abtretung westpreußischer
Gebietsteile an Polen führte zu einer Abschnürung der Provinz Ostpreußen vom übrigen Reichsgebiet mit
gravierenden Folgen für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in der gesamten Provinz. Bei der im
Juli 1920 im Regierungsbezirk Allenstein durchgeführten Volksabstimmung stimmten im Kreis Lötzen 99, 97%
der Abstimmungsberechtigten für den Verbleib bei Deutschland. Die Einwohnerzahl der Stadt betrug 1925
10. 552 und erhöhte sich bis 1939 auf 16. 288.

Im 2. Weltkrieg wurde Ostpreußen zum Aufmarschgebiet für die Angriffe auf Polen und die Sowjetunion.
Ihre verheerenden und bitteren Auswirkungen trafen auch die Einwohnerschaft Lötzens. Kurz vor dem Einzug
der Roten Armee am 26.1.1945 begab sich der größere Teil der Zivilbevölkerung auf die Flucht. Die
Zurückgebliebenen wurden nach der Übernahme durch Polen bis auf geringere Reste vertrieben. Die
weitgehend entvölkerte und ausgeplünderte Stadt Lötzen erhielt 1946 den neuen Namen „
Giżycko“ nach dem
in Osterode tätig gewesenen Pfarrer Gustav Gisevius (1810 –1848). Dieser hatte sich in seinen Schriften
leidenschaftlich für den Erhalt der polnischen Sprache in Masuren eingesetzt.

Das Kriegsende 1945 brachte tiefgreifende Einschnitte auch für die Geschichte Lötzens.
Der durch polnische Neusiedler vorangetriebene Wiederaufbau - Lötzen war während des Krieges zu etwa
30% zerstört worden - und der Ausbau der Infrastruktur kamen nur langsam voran, beschleunigten sich aber
durch die Wende in Osteuropa. Die Einwohnerzahl der Stadt ist bis 2008 auf 30. 000 angewachsen. Damit
gehört Lötzen (
Giżycko) zu den größeren Städten in der Wojewodschaft Ermland-Masuren und ist eines der
bedeutendsten Tourismuszentren der Region.

An architektonischen Sehenswürdigkeiten sind bis heute Reste der alten Ordensburg, einige ältere
Bürgerhäuser, die 1827 nach Plänen des preußischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel errichtete, 1881
erneuerte evangelische Stadtkirche, eine Drehbrücke aus der Mitte des 19. Jhdts. sowie die Festung Boyen
erhaltengeblieben. Letztere wird gegenwärtig vornehmlich für touristische und kulturelle Zwecke genutzt.
Im Zuge des Wiederaufbaues nach dem 2. Weltkrieg sind u.a. im Norden und Nordosten der Stadt neue
Wohnsiedlungen entstanden. Die reizvolle Umgebung mit den zahlreichen an das Stadtgebiet heranreichenden
Wasserflächen (=26%) haben Lötzen (
Giżycko) wieder zu einem lohnenden Reiseziel gemacht.